Morgens, halb zehn in Deutschland:
Ich lag noch im Bett – erst seit 3 ½ Stunden – um wenigstens etwas Schlaf vor der Klausur zu bekommen, da klingelte es an der Tür. Wer kann das sein? Postbote? Päckchen? Ich schlurfte zur Sprechanlage: „Guten Morgen!?“ – „Guten Morgen! Mein Name ist (hab ich vergessen). Ich wollte Sie einmal fragen, ob Sie glauben, dass es eine Regierung gibt, die alle Interessen der Menschen vertritt?“ – Studentin? – Zumindest war die Antwort leicht: „Nein.“ – Wahlhelferin? – „Wenn ich Ihnen mal einen Auszug aus der Bibel vorlesen dürfte?“ – Jehovas Zeugin! – Kaum war ihre Angehörigkeit aufgeklärt, legte sie auch schon los.
Vielleicht hätte ich meine Sprechanlage allein und sie einfach lesen lassen sollen. So, wie es ihr heute noch öfter passieren wird, wenn sie Glück hat. Wenn sie Pech hat, darf sie sich wüste Beschimpfungen an den Kopf werfen lassen und wird dennoch freundlich bleiben. So unerschütterliche Zeugen sieht man als Jurist selten.
Im Gegensatz zu den meisten ihrer heutigen Auserwählten hatte ich einen für sie nachvollziehbaren Grund, ihre Bekehrung zu unterbrechen: „Bitte entschuldigen Sie mich, aber ich bin Studentin und schreibe in wenigen Stunden eine Klausur, auf die ich mich noch vorbereiten muss.“ – Vom anderen Ende der Leitung wurde mir sofortiges Verständnis entgegengebracht. „Darf ich Ihnen den noch eine Ausgabe unserer Zeitschriften in den Briefkasten werfen?“ Na, aber sicher! Wachturm und Erwachet, die Kulthefte schlechthin! Keiner liest sie, aber alle kennen sie. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Klausur und vielleicht passt es Ihnen ein andermal?“
Ich kann’s kaum erwarten. Kostenloses Heimbibelstudium bei Tee und Keksen. Jippie Jehova!